Prinz/Gresser: Macht Kontaktabbruch zu den leiblichen Eltern Kinder krank? Quelle: NZFam2015, S.989 ff |
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Ärztin Anna Prinz und Internistin Prof. Dr. med. Ursula Gresser *
Jeden Tag werden weltweit Kinder von ihren Eltern getrennt, sei es durch Flucht, Krieg, Tod, Trennung der Eltern, gerichtliche oder behördliche Maßnahmen. Die Erfassung von Folgen solcher Traumata und ihre Bedeutung für die medizinische Versorgung der Betroffenen werden immer wichtiger.
Ziel der vorliegenden Literaturanalyse war es, zu klären, ob Kinder, die in ihrer Kindheit und Jugend Kontaktverlust zu ihren lebenden Eltern erleiden, über das aktuelle Trauma hinaus länger anhaltende gesundheitliche Folgen zeigen.
Wenn dies so wäre, dann müssten aus ärztlicher Sicht alle denkbaren Maßnahmen ergriffen werden, um einen Kontaktabbruch von Kindern zu ihren Eltern zu verhindern.
Nachfolgend werden die Ergebnisse von sechs wissenschaftlichen Studien, die sich mit der Frage gesundheitlicher Folgen
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von Kontaktabbruch zwischen Kindern und lebenden leiblichen Elternteilen befassen, bezüglich der Fragestellung dargestellt und bewertet. Eine Zusammenfassung dieser Publikationen zeigt die unten stehende Tabelle.
Ziel der retrospektiven Studie von Kendler et al. 1 war es, zu klären, ob es einen Zusammenhang zwischen Kontaktverlust zu einem Elternteil in der Kindheit und dem Verlauf der Risikoraten für schwere Depression und Alkoholabhängigkeit gibt, und ob das Geschlecht eine Rolle spielt.
Hierzu wurden am Department für Psychiatrie der Virginia Commonwealth University, Richmond/USA, 5070 gleichgeschlechtliche und 2118 nicht-gleichgeschlechtliche Zwillinge der Jahrgänge 1934 – 1974 befragt.
Elternverlust wurde definiert als Kontaktverlust zwischen Kind und Elternteil vor dem 17. Geburtstag. Es wurden zwei Ursachen unterschieden: Kontaktverlust durch Tod eines Elternteils und Kontaktverlust zu einem lebenden Elternteil, im Folgenden als Trennung bezeichnet. Als Anfangszeitpunkt wurde der Zeitpunkt angesetzt, zu dem der Kontaktverlust begann. Bei Auftreten von Depression oder Alkoholkrankheit wurde die Zeit bis zum Wiedererreichen des Wertes vor dem Kontaktverlust ermittelt.
Von einem Kontaktverlust zu einem Elternteil in der Kindheit berichteten von den 5070 gleichgeschlechtlichen Zwillingen 1021 (20,1 %), davon 337 durch Tod (33,0 %) und 836 durch Trennung (81,9 %). Beides betraf dreimal häufiger den Vater als die Mutter. Von den 2118 nicht-gleichgeschlechtlichen Zwillingen berichteten 443 (20,9 %) von einem Kontaktverlust, davon 131 durch Tod (29,6 %) und 407 durch Trennung (91,9 %).
Von den insgesamt 7188 Befragten hatten damit 1464 mindestens einen Kontaktverlust (20,4 %), davon 468 durch Tod (32,0 %) und 1243 durch Trennung (84,9 %).
Das Erkrankungsrisiko für eine Depression war in allen Gruppen im Jahr nach dem Kontaktverlust erhöht (iHR 2 = 5,28), bei Verlust des Kontakts zur Mutter deutlich stärker (iHR 13,36 bzw. 8,12) als bei Verlust des Kontakts zum Vater (iHR = 2,37 bzw. 6,49). Trat der Kontaktverlust durch Tod der Mutter ein, waren die Folgen fast doppelt so schwerwiegend (iHR 13,36) wie bei Kontaktabbruch zur Mutter durch Trennung (iHR = 8,12). Bei Kontaktabbruch zum Vater war es umgekehrt:
Die Folgen waren bei Trennung höher (iHR = 6,49) als bei Tod (iHR = 2,37).
Während es nach Kontaktverlust durch Tod 12 bis 15 Jahre dauerte, bis das Erkrankungsrisiko wieder auf das Ausgangsniveau vor dem Kontaktverlust zurückging, dauerte dies nach Kontaktverlust durch Trennung mit 29 bis 35 Jahren mehr als doppelt so lang.
Zwischen männlichen und weiblichen Betroffenen gab es keine signifikanten Unterschiede.
Einen Einfluss von scheidungsbedingten oder genetischen Faktoren auf die Dauer der Erhöhung des Risikos für schwere Depression schließen die Autoren nicht aus.
Kontaktverlust zu einem Elternteil durch Trennung – nicht aber durch Tod – führte zu einem erhöhten Risiko, an einer Alkoholabhängigkeit zu erkranken. Am ausgeprägtesten war dies bei Kontaktverlust zur lebenden Mutter, hier war das Erkrankungsrisiko für Alkoholabhängigkeit signifikant erhöht (iHR = 4,70 mit p < 0,0001) mit einer errechneten Erholungszeit von 115,5 Jahren.
Bei weiblichen Betroffenen zeigte sich ein höheres Erkrankungsrisiko bei Kontaktverlust zu einem lebenden Elternteil, insbesondere wenn der Kontaktverlust den Vater betraf.
Fazit: Kontaktverlust zu einem Elternteil verursachte bei den Kindern über viele Jahre erhöhte Erkrankungsrisiken, insbesondere für schwere Depressionen.
Der Kontaktverlust zur Mutter wirkte sich hierbei deutlich gravierender aus als der Kontaktverlust zum Vater. Kontaktverlust zum Vater durch Trennung war folgenschwerer als Kontaktverlust zum Vater durch Tod. Der durchschnittliche Erkrankungszeitpunkt lag für schwere Depression bei 27,6 und für Alkoholabhängigkeit bei 22,4 Jahren. Die Erholungszeit bis zum Erreichen des Krankheitsrisikos vor dem Ereignis war nach Kontaktverlust durch Trennung mehr als doppelt so lang wie nach Kontaktverlust durch Tod.
Die Kinder wurden bezüglich ihrer leiblichen Eltern bei Kontaktverlust durch Trennung in etwa doppelt so stark und fast dreimal so lang belastet wie bei Kontaktverlust durch Tod.
Ziel der Studie von Tyrka et al. 3 war es, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ob und ggf. welchen Einfluss ein Kontaktabbruch zu einem Elternteil auf den Cortisolhaushalt von Erwachsenen hat, die als Kinder Kontaktverlust erfahren haben. Eine Veränderung dieses Systems kann bei psychiatrischen Krankheiten auftreten. 4
Hierzu wurden 88 Erwachsene ohne Zeichen einer Axis-I-Erkrankung (Depression, Schizophrenie, Angststörung) untersucht: kein Elternverlust (n = 44) oder Kontaktverlust zu einem lebenden Elternteil (25) bzw. verstorbenem Elternteil (19). Alters- und Geschlechtsverteilung der Gruppen waren ähnlich. Elternverlust wurde definiert als Kontaktverlust von mindestens 6 Monaten Dauer zwischen Kind und Elternteil vor dem 18. Geburtstag. Ausgewertet wurde nach 3 Gruppen: 1) Tod eines Elternteils, 2) Trennung von einem lebenden Elternteil, 3) kein Elternverlust.
Verlust durch Tod (n = 19) trat durchschnittlich im Alter von 9,2 Jahren auf und betraf 2 x die Mutter und 17 x den Vater. Kontaktverlust zu lebenden Elternteilen (n = 25) trat durchschnittlich im Alter von 5,2 Jahren auf und betraf 4 x die Mutter, 13 x den Vater und 6 x beide Eltern. Bei 22 Fällen war der Kontaktverlust dauerhaft, bei 3 Fällen vorübergehend. Die sozioökonomischen Belastungen waren in der Gruppe mit Kontaktverlust zu einem lebenden Elternteil am größten; 4 Kinder waren in Fremdpflege untergebracht.
Die corticotrope Hypophysenfunktion wurde mittels des Dexamethason (Dex)-CRH-Tests untersucht. Daneben erfolgten umfangreiche physische und psychische Untersuchungen.
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Während sich für ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen fanden, ergab sich für Plasma-Cortisol ein signifikanter Mehranstieg bei den Teilnehmern, die einen Elternverlust erlitten hatten, im Vergleich zur Kontrollgruppe, mit stärkerer Ausprägung bei männlichen Teilnehmern.
Im Vergleich zu den Teilnehmern ohne Elternverlust zeigten die Teilnehmer mit Kontaktverlust zu ihren Eltern statistisch signifikant häufiger depressive Symptome. Betraf der Kontaktverlust verstorbene Eltern, kamen eine ängstliche Persönlichkeitsstruktur und übermäßige Vorsicht hinzu.
Fazit: Die Studie ergibt, dass Kontaktverlust zu leiblichen Eltern Störungen des neuroendokrinen Stoffwechsels im Erwachsenenalter hervorrufen kann. Bei Kontaktverlust und vorangegangener guter Fürsorge der Eltern war der Anstieg des Cortisols am ausgeprägtesten, bei Kontaktverlust zu lebenden Eltern und vorangegangen geringer Fürsorge war der Anstieg des Cortisols im Vergleich zur Gruppe ohne Elternverlust am geringsten.
Ziel der Studie von McWey et al. 5 war es, die Bedeutung eines kontinuierlichen Kind-Eltern-Kontakts auf die psychische Gesundheit von fremduntergebrachten Kindern zu ermitteln.
Ausgewertet wurden die Daten von 362 Kindern aus dem „National Survey on Child and Adolescent Well-Beeing“, die für mindestens 180 Tage fremduntergebracht waren („out-of-home placement“). In welcher Form diese Fremdunterbringung stattfand, zB bei Pflegefamilien oder in Heimen, wird nicht angegeben, auch nicht, inwieweit dritte Personen Kontakt zu den Kindern hatten. Die Kinder waren 7 bis 15 Jahre alt, die Fremdunterbringung dauerte durchschnittlich 800 Tage, 54 % waren Mädchen, 46 % Jungen. Die Datenerhebung erfolgte über Befragung der Kinder, ihrer Betreuer und der zuständigen Behörden.
Ausgewertet wurde der Kontakt zu den Müttern, nicht ausgewertet (mangels Daten) wurde der Kontakt zu den Vätern.
107 Kinder hatten keinen Kontakt, 91 hatten „etwas“ Kontakt (1 bis 2 Kontakte/Monat) und 164 hatten „oft“ Kontakt (mindestens 1 Kontakt/Woche).
Zwischen der Häufigkeit von Kontakten zu den leiblichen Eltern und der Entwicklung einer Depression gab es im Gesamtkollektiv einen Zusammenhang: je mehr Kontakt, desto weniger Depression.
Mädchen hatten in allen Gruppen (kein – etwas – häufiger Kontakt) signifikant häufiger eine Depression als Jungen.
Während bei den Jungen die Depression in der Reihenfolge „kein Kontakt – etwas Kontakt – häufiger Kontakt“ abnahm, kam bei den Mädchen Depression am häufigsten in der Gruppe mit etwas Kontakt vor.
Es gab geschlechtsunabhängig eine signifikante Korrelation zwischen früheren Gewalterlebnissen und der Entwicklung einer Depression.
Signifikant war der Zusammenhang zwischen Kontakthäufigkeit und Verhaltensstörungen. Die Kinder mit häufigem Kontakt zu ihren leiblichen Eltern zeigten signifikant weniger Verhaltensstörungen, als die Kinder ohne bzw. mit wenig Kontakt.
Fazit: Ein häufigerer Kontakt mit der leiblichen Mutter war bei den Kindern mit einer geringeren Ausprägung depressiver Symptome und weniger Verhaltensauffälligkeiten assoziiert. Mädchen zeigten ausgeprägtere Symptome von Depression als Jungen.
Die Autoren folgern, dass bei Kindern in Fremdunterbringung ein häufiger und gleichmäßiger Kontakt der Kinder zu ihren leiblichen Eltern die Ausprägung von Depressionen und Verhaltensauffälligkeiten günstig beeinflussen kann, und ein häufiger Kontakt zu den leiblichen Eltern fester Bestandteil der Betreuung von Kindern in Fremdunterbringung sein sollte.
Ziel der Studie von Räikkönen et al. 6 war es, zu ermitteln, ob eine Trennung von Kindern von ihren leiblichen Eltern in der frühen Kindheit Einfluss auf das Risiko für die Entwicklung schwerer psychischer Erkrankungen hat.
Dazu wurden prospektiv die Lebensdaten von 13.345 Kindern von der frühen Kindheit (Geburt 1934-1944) bis zum späten Erwachsenenalter (Erhebungsjahr 1971) erfasst. Auswertbar waren die Daten von 11.028 Kindern, die keine Trennung von ihren Eltern erlebt hatten, und 1719 Kindern, die in den Jahren 1939 bis 1945 im Rahmen von Evakuierungsmaßnahmen auf Zeit von ihren Eltern getrennt in eine Fremdunterbringung kamen. Die Trennung erfolgte im Mittel im Alter von 4,6 Jahren, die durchschnittliche Trennungsdauer betrug 1,7 Jahre.
Die Daten zeigten für die von ihren Eltern ohne Kontakt getrennten Kinder ein signifikant höheres Risiko für das Auftreten einer psychischen Erkrankung, eines Substanzmissbrauchs oder einer Persönlichkeitsstörung, die jeweils so schwer waren, dass sie zu stationärer Behandlung oder zum Tod der untersuchten Personen führten.
Je höher der sozioökonomische Hintergrund der Kinder vor der Trennung war, desto höher war das Risiko für die gesundheitliche Schädigung durch die Trennung.
Risiken für weniger schwere Krankheitsbilder wurden in der Studie nicht erfasst.
Fazit: Trennung mit Kontaktabbruch von den leiblichen Eltern in der frühen Kindheit führt zu einem signifikant höheren Risiko, im Erwachsenenalter hospitalisierungsbedürftige psychische Erkrankungen, Substanzmissbrauch oder eine Persönlichkeitsstörung zu entwickeln. Dies betrifft besonders Kinder mit zuvor hohem sozioökonomischem Hintergrund.
Ziel der Studie von Reiter et al. 7 war es, zu klären, ob und wie sich Kontaktverlust zu leiblichen Eltern bei Scheidung
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der Eltern auf die emotionale und psychosomatische Gesundheit der Jugendlichen auswirkt, und ob sich ggf. ergebende Probleme mit zunehmender Scheidungsrate in der Bevölkerung oder mit der Zeitspanne seit Scheidung verringern.
Die Autoren befragten 1997, 2001, 2005 und 2009 Schüler von 4 Schulen in Førde/Norwegen im Alter von 15-20 Jahren. Die Befragten wurden in drei Gruppen eingeteilt: Scheidung und Kontakt zu beiden Eltern (n = 565), Scheidung und Kontaktverlust zu einem Elternteil (150) und weder Scheidung noch Kontaktverlust (2413). Kontaktverlust wurde angenommen, wenn „Ich sehe diese Person nicht“ angegeben wurde.
Von 1997 bis 2009 nahm die Zahl der von Scheidung betroffenen Jugendlichen um 33,8 % zu, von 20,1 % auf 26,9 % der Stichprobe. Insgesamt berichteten 775 von 3188 Befragten (24,3 %) über ein Scheidungserlebnis, und davon 150 (19,4 %) über Kontaktverlust zu mindestens einem Elternteil. 137 dieser 150 von Kontaktverlust Betroffenen (91,3 %) verloren den Kontakt zum Vater. Wie viele den Kontakt zur Mutter verloren, wird nicht angegeben.
Die Belastung der Jugendlichen durch Depressionen, Ängste und psychosomatische Erkrankungen wurde durch die Zunahme an Scheidungen im Studienzeitraum nicht verringert, ebenso nicht durch einen größeren Abstand zum Zeitpunkt der Scheidung. Ein Toleranz- oder Heilungseffekt durch Zeitablauf trat nicht ein.
Kontaktverlust stellte sich als hoher emotionaler Stressfaktor heraus. Jugendliche mit Scheidungserlebnissen und aufrechterhaltenem Kontakt zu beiden Eltern gaben im Vergleich zur scheidungsfreien Kontrollgruppe gleiche bis geringfügig höhere Belastungen an, Jugendliche mit Scheidungserlebnissen und Verlust des Kontakts zu einem Elternteil im Vergleich zur Kontrollgruppe weitaus höhere Belastungen.
Die Autoren zitieren Amato und Keith 8, wonach ein „Ersatz“ der biologischen Eltern durch Stiefeltern die Folgen nicht abmildert. In der Studie von Reiter et al. wurde dieser Faktor nicht untersucht.
Fazit: Während Scheidungen mit erhaltenem Kontakt zu beiden Eltern von Jugendlichen gut verkraftet werden, führt ein Kontaktabbruch zu einem Elternteil nach einer Scheidung zu ausgeprägten emotionalen Belastungen der Jugendlichen mit Depressionen, Ängsten sowie psychosomatischen Beschwerden. Die Zeit mindert diese Belastungen nicht.
Ziel der Studie von Otowa et al. 9 war es, zu klären, ob Kontaktverlust eines Kindes zu seinen Eltern eine Auswirkung auf das Risiko hat, eine schwere Depression, eine Angsterkrankung oder Alkohol- oder Drogenmissbrauch und -abhängigkeit zu entwickeln.
Die Studie basiert auf Daten aus der „Virginia Adult Twin Study of Psychiatric and Substance Use Disorders (VATSPSUD)“, wie auch die Studie von Kendler et al. 10
Befragt wurden 2605 männliche Zwillinge, 20–58 Jahre alt (Ø 36,8 Jahre). Von Kontaktverlust zu leiblichen Eltern waren 584 (22,4 %) betroffen, 400 durch Kontaktabbruch zu lebenden Eltern, bei 184 waren Eltern verstorben.
Elternverlust wurde definiert als Kontaktverlust zwischen Kind und Elternteil vor dem 17. Geburtstag.
Kontaktverlust führte im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Kontaktverlust bei den Kindern zu einem signifikant erhöhten Risiko für die Entwicklung von schwerer Depression (Odds ratio 1,77–Prävalenz 26,2 %), generalisierter Angststörung (1,45; 18,2 %), Panikstörung (2,03–2,2 %), Alkoholabhängigkeit (1,56–24,0 %), Drogenmissbrauch (1,87–21,6 %) und Drogenabhängigkeit (2,02–7,6 %). Das Risiko für die Entwicklung von Phobien war erhöht (1,28–21,9 %).
Das Lebensalter zu Beginn des Kontaktverlustes oder die Dauer des Kontaktverlustes spielten keine Rolle, jüngere und ältere Kinder waren in gleicher Weise betroffen.
Kontaktverlust von lebenden Eltern war im Vergleich zu Kontaktverlust durch Tod mit einem höheren Risiko für die Entwicklung einer schweren Depression (Odds ratio 2,01 vs. 1,04), einer generalisierten Angststörung (1,45 vs. 0,86), einer Panikerkrankung (2,01 vs. 0,78), eines Drogenmissbrauchs (1,87 vs. 1,09) oder einer Drogenabhängigkeit (2,01 vs. 1.05) verbunden.
Kontaktverlust zur Mutter erhöhte im Vergleich zu Kontaktverlust zum Vater signifikant das Risiko für die Entwicklung von Phobien (2,09 vs. 0,94) und Alkoholabhängigkeit (2,34 vs. 1,13).
Kontaktverlust zum Vater erhöhte im Vergleich zu Kontaktverlust zur Mutter signifikant das Risiko für die Entwicklung von schweren Depressionen (1,65 vs. 1,51) und Drogenmissbrauch (1,77 vs. 1,41)
Die Beziehung zu den Eltern oder Konflikt zwischen den Eltern als mögliche Einflussfaktoren wurden bei der Studie nicht berücksichtigt.
Fazit: Kontaktverlust zu leiblichen Eltern führt unabhängig vom Lebensalter des Kindes bei Beginn und der Dauer des Kontaktverlustes zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von schweren Depressionen, Angststörungen, Panikstörungen, Alkoholabhängigkeit, Drogenmissbrauch, Drogenabhängigkeit und Phobien. Kontaktverlust zu lebenden Eltern wirkt sich dabei deutlich stärker aus als Kontaktverlust auf Grund von Tod. Kontaktverlust zu Mutter bzw. Vater bewirken beide erhöhte Erkrankungsrisiken mit unterschiedlichen Risikokonstellationen.
Die Studien über die Folgen von Kontaktabbruch eines Kindes zu leiblichen Eltern kommen mit unterschiedlichen Ansätzen zu dem Ergebnis, dass ein Kontaktverlust zu den leiblichen Eltern mit erheblichen gesundheitlichen Schädigungen der Kinder einhergeht, die teilweise lebenslang anhalten. Kontaktverlust zu den leiblichen Eltern ist mit einem deutlich erhöhten Risiko für die Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten, schweren Depressionen, Suchterkrankungen, Angst- und Panikerkrankungen verbunden. Es finden sich auch organische Veränderungen, wie zB des neuroendokrinen Stoffwechsels.
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Durch Kontaktverlust zu lebenden Eltern werden die betroffenen Kinder etwa doppelt so stark und dreimal so lang belastet wie bei Kontaktverlust durch Tod.
Nach den hier vorgestellten Studien spielen das Geschlecht, das Alter bei Kontaktverlust und die Dauer des Kontaktverlustes bei den Kindern für die Entwicklung der gesundheitlichen Schäden eine geringe Rolle.
Während man sich in früheren Studien überwiegend mit Kontaktverlust zur Mutter befasste, befassen sich die neueren Studien mit Mutter und Vater. Der Kontaktverlust zur Mutter bewirkt dabei andere Folgen als der Kontaktverlust zum Vater.
Ein Teil der Auswertungen erfolgte retrospektiv. Das Querschnittdesign der Studien liefert in erster Linie Assoziationen, nicht Kausalzusammenhänge. Eine systematische Untersuchung der Thematik in longitudinalen Studien wäre wünschenswert. Dabei sollten von Beginn an mögliche Einflussfaktoren miterfasst werden, wie familiäre Konflikte, Unterstützung durch die Eltern, Loyalitätskonflikte, genetische Faktoren, sozioökonomischer Hintergrund und andere Bezugspersonen der Kinder, wie zB Stiefeltern oder Pflegeeltern. Littner 11 betont die Wichtigkeit der leiblichen Eltern für Pflegekinder. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Bedeutung eines Kontaktabbruchs zu leiblichen Eltern für die gesundheitliche Entwicklung von Kindern. Unterschiede in der gesundheitlichen Entwicklung in Abhängigkeit von der Lebensumgebung „leibliche Familie vs. Pflegefamilie vs. Heim“ sind Gegenstand einer weiteren Arbeit 12.
Auch wenn die Studien sehr unterschiedlich und zusätzliche Einflüsse nicht auszuschließen sind, so ergibt sich, dass Kontaktverlust zu den leiblichen Eltern – sowohl bei Vater als auch bei Mutter – zu erheblichen psychischen und physischen Schädigungen bei den Kindern führt, von denen sich die Kinder auf Lebensdauer nicht erholen.
Die Studienlage ist ein Hinweis für Verantwortliche und Entscheider, bei Entscheidungen über Kinder auch deren Beziehung zu den leiblichen Eltern und ihre langfristige gesundheitliche Entwicklung im Auge zu haben.
Es gibt nur wenige Studien, die sich mit der Frage gesundheitlicher Folgen von Kontaktabbruch zwischen Kindern und ihren lebenden leiblichen Eltern befassen. Die hier vorgestellten Studien kommen zusammengefasst zu folgendem Ergebnis:
Kontaktabbruch zu den leiblichen Eltern führt bei den Kindern zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die lebenslang andauern können.
Jungen und Mädchen sind von diesen gesundheitlichen Folgen gleichermaßen betroffen.
Die Konsequenz aus diesen durch wissenschaftliche Untersuchungen gewonnenen Erkenntnissen kann aus ärztlicher Sicht nur sein, dass Kontaktabbruch von Kindern zu ihren lebenden Eltern verhindert werden muss. Die vorliegenden Studien nennen meist keine Unterschiede bzgl. der Ursache des Kontaktabbruchs, so dass der Kontaktabbruch unabhängig von den äußeren Bedingungen für die Kinder ein schweres Trauma mit anhaltender gesundheitlicher Schädigung bedeutet.
Für eine weitergehende wissenschaftliche Bewertung wäre die Einführung eines Registers für Kontaktabbruchsfälle, verbunden mit einer Meldepflicht für Ärzte und Behörden, hilfreich.
Tabelle: Zusammenfassung der verfügbaren Studien über gesundheitliche Folgen von Kontaktabbruch bei Kindern zu einem oder beiden lebenden leiblichen Elternteilen. Auflistung der Studien in chronologischer Reihenfolge ihrer Veröffentlichung, Stand: Oktober 2015
Autor |
Titel |
Was wurde untersucht |
Untersuchte Stichprobe |
Ergebnisse |
Kendler et al. 2002 |
Childhood parental loss and risk for first-onset of major depression and alcohol dependence: the time-decay of risk and sex differences |
Auftreten von schwerer Depression bzw. Alkoholabhängigkeit nach Kontaktverlust zu lebenden oder verstorbenen leiblichen Eltern |
1464 Zwillinge beiderlei Geschlechts, die vor dem 17. Geburtstag einen Kontaktverlust zu einem leiblichen Elternteil erlitten hatten |
Kontaktverlust führt zu schweren Depressionen, insbesondere beim Verlust des Kontakts zur Mutter. Bei Kontaktverlust zum Vater bewirkt Trennung grössere Probleme als Tod. Die Erholungszeit bis zum Erreichen des Krankheitsrisikos vor dem Ereignis ist nach Kontaktverlust durch Trennung mehr als doppelt so lang wie nach Kontaktverlust durch Tod. Kinder werden bezüglich ihrer leiblichen Eltern bei Kontaktverlust durch Trennung in etwa doppelt so stark und fast dreimal so lang belastet wie bei Kontaktverlust durch Tod. |
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Tyrka et al. 2008 |
Childhood parental loss and adult hypothalamic-pituitary-adrenal function |
Veränderungen im neuroendokrinen Stoffwechsel im Erwachsenenalter nach Kontaktverlust zu lebenden oder verstorbenen leiblichen Eltern |
44 Erwachsene, die vor dem 18. Lj. für mindestens sechs Monate Kontaktverlust zu einem Elternteil erlitten hatten |
Kontaktverlust zu leiblichen Eltern führt zu Störungen des neuroendokrinen Stoffwechsels im Erwachsenenalter. Je besser die Fürsorge der Eltern war, desto ausgeprägter war das Ausmaß der Veränderungen. |
McWey et al. 2010 |
The impact of continued contact with biological parents upon the mental health of children in foster care |
Einfluss der Kontakthäufigkeit von fremduntergebrachten Kindern zu ihren leiblichen Eltern auf die Ausprägung depressiver Symptome und Verhaltensauffälligkeiten. |
362 Kinder, 7 bis 15 Jahre, für mindestens sechs Monate fremduntergebracht. |
Häufigerer Kontakt von Kindern in Fremdunterbringung zu ihren leiblichen Eltern kann zu einer geringeren Ausprägung von Depressionen und Verhaltensauffälligkeiten führen. |
Räikkönen et al. 2011 |
Risk of severe mental disorders in adults separated temporarily from their parents in childhood: The Helsinki birth cohort study |
Einfluss eines Kontaktverlustes von Kindern zu ihren leiblichen Eltern in der frühen Kindheit auf das Risiko für die Entwicklung schwerer psychischer Erkrankungen. |
11.028 Kinder, die keine Trennung von ihren Eltern erlebt hatten, und 1719 Kinder, die durch Evakuierungsmaßnahmen eine Trennung in der Kindheit erlebt hatten. |
Trennung von leiblichen Eltern in der frühen Kindheit führt zu einem signifikant höheren Risiko, im Erwachsenenalter schwere psychische Erkrankungen, Substanzmissbrauch oder eine Persönlichkeitsstörung zu entwickeln. Dies betrifft besonders Kinder mit hohem sozioökonomischem Hintergrund. |
Reiter et al. 2013 |
Impact of divorce and loss of parental contact on health complaints among adolescents |
Einfluss von Kontaktverlust zu leiblichen Eltern durch Scheidung der Eltern auf die emotionale und psychosomatische Gesundheit der Jugendlichen. |
3188 Schüler von 15 bis 20 Jahren in Norwegen, 2413 ohne und 755 mit Scheidungserlebnissen, 150 mit Kontaktverlust zu mindestens einem Elternteil. |
Kontaktverlust ist für Jugendliche ein hoher emotionaler Stressfaktor. Während Scheidungen mit erhaltenem Kontakt zu beiden Eltern von Jugendlichen gut verkraftet werden, führt ein Kontaktabbruch zu einem Elternteil nach einer Scheidung zu ausgeprägten emotionalen Belastungen der Jugendlichen mit Depressionen, Ängsten und psychosomatischen Beschwerden. Die Zeit mindert diese Belastungen nicht. |
Otowa et al. 2014 |
The impact on childhood parental loss on risk for mood, anxiety and substance use disorders in a population-based sample of male twins |
Einfluss von Kontaktverlust eines Kindes zu seinen Eltern auf das Risiko, schwere Depression, Angsterkrankung, Alkohol- oder Drogenmissbrauch zu entwickeln. |
2605 männliche Zwillinge, davon 584 vor dem 17. Geburtstag von Kontaktverlust zu leiblichen Eltern betroffen, 400 durch Trennung, 184 durch Tod. |
Kontaktverlust zu leiblichen Eltern führt unabhängig vom Lebensalter des Kindes bei Beginn und der Dauer des Kontaktverlustes zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von schweren Depressionen, Angststörungen, Panikstörungen, Alkoholabhängigkeit, Drogenmissbrauch, Drogenabhängigkeit und Phobien. Kontaktverlust zu lebenden Eltern wirkt sich dabei deutlich stärker aus als Kontaktverlust auf Grund von Tod. Kontaktverlust zu Mutter bzw. Vater bewirken beide erhöhte Erkrankungsrisiken mit unterschiedlichen Risikokonstellationen. |
Die vorliegende Veröffentlichung ist eine Vorabpublikation von Teilergebnissen aus der Dissertationsarbeit von Anna Prinz an der Medizinischen Fakultät der Universität München.
Fussnote 1
Kendler/Sheth/Gardener/Prescott (2002), Childhood parental loss and risk for first-onset of major depression and alcohol dependence: the time-decay of risk and sex differences. Psychol Med 32: 1187-1194.
Fußnote 2
iHR = Erkrankungsrate zu Beginn, ermittelt über Hazard Ratio.
Fussnote 3
Tyrka/Wier/Price/Ross/Anderson/Wilkinson/Carpenter (2008), Childhood parental loss and adult hypothalamic-pituitary-adrenal function. Biol Psychiatry 63: 1147-1154.
Fussnote 4
S. dazu zB Ehlert/Gaab/Heinrichs, Psychoneuroendocrinological contributions to the etiology of depression, posttraumatic stress disorder, and stress-related bodily disorders: the role of the hypothalamus–pituitary–adrenal axis, Biological Psychology, Volume 57, Issues 1–3, 2001, S. 141-152.
Fussnote 5
McWey/Acock/Porter/Breanne (2010), The impact of continued contact with biological parents upon the mental health of children in foster care. Child Youth Serv Rev 32: 1338-1345.
Fussnote 6
Räikkönen/Lahti/Heinonen/Pesonen/Wahlbeck/Kajantie/Osmond/Barker/Eriksson (2011), Risk of severe mental disorders in adults separated temporarily from their parents in childhood: the Helsinki birth cohort study. J Psychiatr Res 45: RES Jahr 1945 Seite 332-RES Jahr 1945 338.
Fussnote 7
Reiter/Hjörleifsson/Breidablik/Meland (2013), Impact of divorce and loss of parental contact on health complaints among adolescents. J Public Health (Oxf) 35:278-285.
Fussnote 8
Amato/Keith (1991), Parental divorce and the well-being of children: A meta-analysis. Psychol Bull 110: 26-46.
Fussnote 9
Otowa/York/Gardner/Kendler/Hettema (2014), The impact of childhood parental loss on risk for mood, anxiety and substance use disorders in a population-based sample of male twins. Psychiatry Res 220: 404-409.
Fussnote 10
Kendler/Sheth/Gardener/Prescott (2002), Childhood parental loss and risk for first-onset of major depression and alcohol dependence: the time-decay of risk and sex differences. Psychol Med 32: 1187-1194.
Fussnote 11
Littner (1975), The importance of the natural parents to the child in placement. Child Welfare: Journal of Policy, Practice, and Program 54 (3): 175-181.
Fußnote 12
Gresser et al., in Vorbereitung, Vergleich der gesundheitlichen Lebenswege von Kindern in Abhängigkeit von der Lebensumgebung, in der sie aufwachsen: Biologische Familie, Pflegefamilie mit/ohne Kontakt zu den Eltern, Heim mit/ohne Kontakt zu den Eltern.
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